15 Jahre Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen im Freistaat Sachsen

Schlaglichter aus der Gründungsphase

Auf ihrer 31. Konferenz am 14. November 2007 beging die ACK im Freistaat Sachsen ihr 15-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass hielt Herr Pfarrer i.R. Michael Karstädt, von 1992 bis 1998 Schriftführer der ACK Sachsen, einen Vortrag. Der hier niedergelegte schriftliche Text ist eine erweiterte Fassung.

Als Ökumenereferent im Landeskirchenamt der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens war ich auch für die Beziehungen zu den anderen christlichen Kirchen in Sachsen zuständig. So habe ich zur Vorbereitung auf den Vortrag Niederschriften und Protokolle gelesen und eigene Notizen durchgesehen. Nun trage ich Ihnen meine persönliche Sicht auf die Gründungsphase von 1992 bis 1998 vor. Sie entspricht dem Zeitraum, in dem ich als Schriftführer im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft mitgewirkt habe. Dankbar erinnere ich mich an eine verständnisvolle und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Nun bin ich nach Schlaglichtern gefragt worden. Ich brauche also nicht um Vollständigkeit bemüht zu sein. Aber ich bitte um Verständnis dafür, daß ich Abkürzungen verwenden werde. Ich werde mich bemühen, dies selten zu tun.

Gliederung

1. Die Vorgeschichte und der Freistaat Sachsen

Seit 1970 bestand die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der DDR (abgekürzt AGCK). Sie wurde gegründet, nachdem die Mitwirkung in der gesamtdeutschen Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (abgekürzt ACK) – gegründet 1948 – nicht mehr möglich war. Verbindungen zwischen Ost und West hat es jedoch immer gegeben. Die letzten Richtlinien der AGCK stammen vom 5. Mai 1982. Sie enthalten u. a. mit dem § 1 die Grundlagen, die allen Satzungen und Richtlinien der verschiedenen ACK in Deutschland gemeinsam sind und der sog. Basis-Erklärung des ökumenischen Weltrates der Kirchen ÖRK entsprechen: „In der AGCK in der DDR sind Kirchen und kirchliche Gemeinschaften zusammengeschlossen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind zur Ehre Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

Damals gehörten als Mitglieder zur AGCK die acht Gliedkirchen des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR, die Evangelische Brüderunität Herrnhut, die Evangelisch-methodistische Kirche, der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden BEFG, in dem drei Arten von Gemeinden zusammengeschlossen waren, der Bund Freier evangelischer Gemeinden BFeG, die damalige Ev.-Luth. (Altlutherische) Kirche, der Kirchenbund Evangelisch-Reformierter Gemeinden, der Gemeindeverband der Altkatholischen Kirche und eine Mennonitengemeinde (vermutlich aus Berlin-Ost). Außer den Mitgliedern gab es damals noch Beobachter und Gäste. Beobachter waren die Römisch-Katholische Kirche, die Russische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats, die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten GSTA, das Apostelamt Jesu Christi und die Religiöse Gesellschaft der Freunde (Quäker). Zu den Gästen zählten damals Dienststellen und Arbeitsgruppen aus den evangelischen Landeskirchen. Die AGCK umfaßte das gesamte Gebiet der DDR. Für alle, die an dem Miteinander in dieser lebendigen Konfessionskunde beteiligt waren und sind, bedeutet es eine Lernaufgabe, sich mit den oft ähnlich klingenden und bisher unbekannten Bezeichnungen und Traditionen der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften vertraut zu machen.

Der Hinweis auf die AGCK als Vorgeschichte für die ACK Sachsen ist aus mehreren Gründen wichtig. Die AGCK war der Träger der drei Ökumenischen Versammlungen der Jahre 1988/89 in Magdeburg und Dresden geworden. Die Vertreter der sog. Basis-Gruppen und der Mitglieder und Beobachter der Kirchen beschäftigten sich im Konziliaren Prozeß mit den Themen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Dies war für die daran beteiligten Personen eine intensive, sachbezogene Arbeit, bei der man sich kennen- und schätzen lernte und wo Vertrauen wuchs. Das galt auch für die zweimal im Jahr stattfindenden Mitgliederkonferenzen der AGCK, bei denen Gelegenheit bestand, etwas über die Besonderheiten, die Frömmigkeit und die Probleme der anderen zu erfahren. Ich erwähne dies als ein Beispiel dafür, wie das gemeinsame Erleben als Christen in der DDR uns prägte und unser Bekenntnis zu Jesus Christus trotz der Unterschiede uns verband.

Zur Vorgeschichte gehört auch, daß in den Jahren 1990 und 1991 der Zusammenschluß der beiden ACK Ost und West vorbereitet wurde. Dabei waren Unterschiede zu berücksichtigen und zu verarbeiten. Einige westliche ACK einschließlich der Bundes-ACK hatten die Struktur eines eingetragenen Vereins mit zum Teil mehreren hauptamtlichen Angestellten. Bei der AGCK gab es nur einen Hauptamtlichen, den hochverdienten methodistischen Pastor Martin Lange. Sie war eine Arbeitsgemeinschaft im buchstäblichen Sinne des Wortes.

Mehrere Kirchen und Gemeinschaften hatten einen unterschiedlichen Status innerhalb ihrer jeweiligen Arbeitsgemeinschaft. Ich möchte nur auf ein wichtiges Beispiel hinweisen. Im Laufe des Jahres 1990 stellte die damalige Berliner Bischofskonferenz der Römisch-Katholischen Kirche den Antrag, den Beobachterstatus zu verlassen und stimmberechtigtes Vollmitglied der AGCK zu werden, also kurz vor der deutschen Vereinigung. In der alten BRD waren die westdeutschen Jurisdiktionsbezirke schon längst Mitglieder. Warum dies in der DDR erst so spät erfolgte, ist mir nicht bekannt.

Mehrere Mitglieder der AGCK-Konferenz kamen aus unserer sächsischen Region. Und damit bin ich bei dem Freistaat Sachsen. Als sich die ostdeutschen Bundesländer nach der deutschen Vereinigung neu konstituierten, haben viele Bürger über die Bezeichnung „Freistaat“ geschmunzelt. Das Lexikon (Meyers Großes Taschenlexikon Mannheim Band 7, 9. Auflage 2002) verrät, daß diese Bezeichnung im 19. Jahrhundert – übrigens genau so wie der Begriff „Freikirche“ - entstanden ist als deutsches Synonym für den Begriff „Republik“ im Unterschied zur Monarchie.

Der Freistaat Sachsen ist größer als die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, die sich auf das Gebiet des ehemaligen Königreiches Sachsen seit 1815 erstreckte. Damals waren Gebiete von Sachsen abgetrennt worden und zu Preußen gekommen, auch kirchlich. Den 1952 gebildeten Bezirken Leipzig und Dresden wurden damals schon die Kreise Delitzsch und Eilenburg/Torgau sowie Görlitz wieder eingegliedert.

Ich erwähne diesen Hintergrund, weil er für die Organisationsform mehrerer Kirchen bedeutsam ist. Staatsgrenzen sind nicht automatisch Kirchengrenzen. Am Gebiet des Freistaates Sachsen sind drei römisch-katholische Jurisdiktionsbezirke und früher fünf, jetzt vier evangelische Landeskirchen beteiligt. Bei den kleineren Kirchen ist die territoriale Abgrenzung völlig anders. Ich vermeide möglichst den Begriff „Freikirche“, weil er nur für einen Teil dieser Kirchen gilt. Manche von ihnen lehnen diese Bezeichnung für ihre Kirche bewußt ab.

Im Norden handelt es sich um die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und das spätere katholische Bistum Magdeburg. Im Osten befindet sich die damalige Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes, die sich dann Evangelische Kirche der Schlesischen Oberlausitz nannte und vor ein paar Jahren zur Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz fusionierte. Das heutige katholische Bistum Görlitz umfaßt Gebiete, die zum Freistaat Sachsen und zum benachbarten Bundesland Brandenburg gehören. Im Westen sind nur wenige Gemeinden im Freistaat Sachsen Teil der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen.

2. Motivation und Konstituierung

In der Mitgliederkonferenz der AGCK wurde deutlich, daß die Bildung regionaler Arbeitsgemeinschaften sachlich geboten war. Denn die Entfernung zwischen den Gemeinden mit ihren regionalen kirchlichen Organisationsformen und der sich neu konstituierenden ACK in Deutschland mit ihrer Ökumenischen Centrale (mit C!) in Frankfurt/Main war viel zu groß. Dazu kam, daß die Mitgliedschaft in der ACK Deutschland für die großen Kirchen durch die nun gesamtdeutschen katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland EKD wahrgenommen wurde, so daß nicht mehr jede evangelische Landeskirche und jeder katholische Jurisdiktionsbezirk in der Mitgliederkonferenz der ACK vertreten war. Für die kleineren Kirchen galt dies in modifizierter Form genau so.

Die AGCK sollte ihre Tätigkeit zum 31. 12. 1991 einstellen. In der Mitgliederkonferenz vereinbarten der damalige Dekan Dr. Michael Ulrich vom Bistum Dresden-Meißen, der methodistische Bischof Dr. Rüdiger Minor und ich , die bisherigen Mitglieder der AGCK auf dem Gebiet des Freistaates Sachsen zu einem informellen Treffen einzuladen. Im Dezember 1991 schrieb Bischof Dr. Minor einen entsprechenden Brief. Wir konnten Gäste in der methodistischen Bischofskanzlei in Dresden sein. Es dürfte eine seiner letzten Amtshandlungen als ostdeutscher methodistischer Bischof gewesen sein. Denn an dem Datum des Treffens, dem 15. Januar 1992, hatte er bereits seinen Dienst in Rußland angetreten.

An dem Vorbereitungstreffen nahmen die Vertreter der gleichen Kirchen und Gemeinschaften teil, die bereits in der AGCK mitarbeiteten. Aus dem BEFG waren die Elim-Gemeinden ausgeschieden und bildeten den Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden BFP. Die bisherige Altlutherische Kirche hatte zusammen mit anderen Gemeinschaften die Selbständige Ev.¬ Luth. Kirche SELK gebildet. Ob die Mennoniten und die Heilsarmee – die in der ACK-West dazugehörten und die bereits in Sachsen aktiv waren – sich beteiligen wollten, mußte noch ermittelt werden. Weitere christliche Gemeinschaften spielten damals keine Rolle.

Die Anwesenden waren bevollmächtigt, für ihre Kirchen und Gemeinschaften die Absicht zu erklären, sich zu einer ACK in Sachsen zusammenzuschließen. Die evangelischen Vertreter aus Görlitz brachten diese Absicht auch für die damalige katholische Apostolische Administratur Görlitz zum Ausdruck. Mitglieder können Kirchen und kirchliche Gemeinschaften werden, die im Freistaat Sachsen bestehen und die bereits erwähnte Basis-Erklärung des ÖRK anerkennen. Ein Gaststatus wurde für solche Gemeinschaften vorgesehen, die dieser Erklärung nicht zustimmen können, aber in der Arbeitsgemeinschaft mitarbeiten wollen. Die Evangelische Kirchenprovinz Sachsen und die damalige katholische Administratur Magdeburg hatten entschieden, nur in der ACK Sachsen-Anhalt Mitglied zu sein.

Eine Arbeitsgruppe wurde gebildet, um die Konstituierung vorzubereiten. Dazu gehörte vor allem der Entwurf der Richtlinien. Der Vereinscharakter sollte vermieden werden. Der Entwurf wurde allen Kirchen und Gemeinschaften zugestellt mit der Bitte um Veränderungsvorschläge. In der nächsten Plenarzusammenkunft wurde der Entwurf erneut beraten. Weiterhin erfolgte ein Austausch über die missionarische Situation in Sachsen. Die konstituierende Sitzung der ACK im Freistaat Sachsen fand an einem Mittwochvormittag, dem 14. Oktober 1992, in einem Raum der Kreuzkirchgemeinde in Dresden statt. Für 17 Uhr wurde zu einem Ökumenischen Gottesdienst in die Kreuzkirche eingeladen. Der katholische Weihbischof Rudolf Müller aus Görlitz hatte die Predigt übernommen.

Zu den Gästen der konstituierenden Konferenz gehörte auch Pastor Martin Lange von der Geschäftsstelle Berlin der ACK Deutschland. Die 17 stimmberechtigten Konferenzdelegierten setzten einstimmig die Richtlinien in Kraft, zu denen die elf Mitgliedskirchen ihre Zustimmung erteilt hatten. So wie in anderen Teilen Deutschlands wurde im Vorfeld auch in Sachsen angeregt, den Zusammenschluß „Rat Christlicher Kirchen“ zu nennen. In Berlin war die Bezeichnung „Ökumenischer Rat Berlin-Brandenburg“ möglich geworden. In Kassel hat der „Rat Christlicher Kirchen in Nordhessen“ seinen Sitz. In anderen Ländern gibt es Nationale Christenräte, in Polen und Tschechien ebenfalls Ökumenische Räte. Ein Argument für ein solche Namensgebung war die Tatsache, daß der Begriff „Arbeitsgemeinschaft“ nicht ins Englische übersetzt werden konnte. In Sachsen wurde aber von mehreren Kirchen dieser Bezeichnung nicht zugestimmt.

Die Sitzung leitete bis zur Wahl des Vorstandes Pfarrer Dr. Michael Ulrich. Gewählt wurden der Pfarrer der Brüderunität Michael Salewski als Vorsitzender, der methodistische Superintendent Gunter Demmler als Stellvertreter, der röm.-kath. Gemeindereferent Josef Tammer als stellvertretender Schriftführer und ich als Schriftführer. Damit waren gemäß den Richtlinien die sieben kleineren Kirchen durch zwei Plätze und die beiden großen Kirchen durch je einen Platz im Vorstand vertreten. Für die Gemeinschaften im Gaststatus wurde der Begriff „Vertreter“ gewählt. Ein Informationsfaltblatt wurde erarbeitet über die ACK Sachsen, ihre Mitglieder und Gäste.

Das Landeskirchenamt der sächsischen Landeskirche wurde gebeten, einen Betrag für die nötigen Ausgaben vorzuschießen, bis ein Umlageschlüssel erarbeitet wurde. Im Laufe des Jahres 1993 hat der Vorstand einen solchen Finanzierungsplan aufgestellt. Er rechnete mit jährlichen Ausgaben von etwa 4.500 DM für Porto, Fahrtkosten für die Vorstandsmitglieder, Konferenzkosten, Büromaterial, Literatur und Zuschüsse für kleinere Unternehmen der ACK Sachsen. Es war erfreulich, daß dieser Kostenrahmen eingehalten werden konnte. Der Umlageschlüssel wurde zu 50% nach der Zahl der Gemeindeglieder und zu 50 % nach der Zahl der Delegierten errechnet. Kirchen und Gemeinschaften unter 1.000 Mitgliedern brauchten keine Umlage zu zahlen, haben jedoch ab und zu Spenden überwiesen.

3. Themen und Praxis

Bereits in der Vorbereitung auf die Konstituierung wurden die Aufgaben für die ACK Sachsen festgestellt:

  • Zusammenarbeit mit der ACK Deutschland sowie den regionalen und örtlichen Arbeitsgemeinschaften außerhalb und innerhalb Sachsens;
  • gegenseitiger Informations- und Erfahrungsaustausch;
  • Weiterführung des gewachsenen Miteinanders und der Zusammenarbeit im Zeugnis für Jesus Christus, im Gebet und im Dienst;
  • Förderung des theologischen Gesprächs mit dem Ziel der Verständigung und Klärung;
  • Fortführung des Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung;
  • Behandlung besonderer Anliegen einzelner Kirchen und Gemeinschaften;
  • Beratung und Vermittlung bei Meinungsverschiedenheiten;
  • Vertretung gemeinsamer Anliegen nach außen und in der Öffentlichkeit;
  • Pflege von Beziehungen zu vergleichbaren ökumenischen Gremien in benachbarten Ländern.

Vorstandsmitglieder oder Delegierte nahmen an den Zusammenkünften der ACK Deutschland teil und berichteten der sächsischen Konferenz sowie ihren entsendenden Kirchen. Allerdings wurde von Anfang an deutlich, daß die Fülle des Materials und der Umfang der Texte die Delegierten und Vertreter überforderten. Sowohl die Vorstandsmitglieder als auch die Konferenzdelegierten übten ihre Tätigkeit für die ACK neben ihrer eigentlichen beruflichen Arbeit aus. Sie bemühten sich, die Themen aus dem Bereich der ACK in ihre Arbeit einzubeziehen, vor allem als Impuls für die Gemeinden. Denn ihre Mitwirkung in der Konferenz sollte dafür sorgen, aus den jeweiligen Kirchen und Gemeinschaften Beiträge zu liefern und Anregungen wieder zurück zu vermitteln. Dabei wurde aber oft die Grenze des Machbaren erreicht.

Die Regionaltagung in Herrnhut im Oktober 1993 unter dem Thema „Reden über Jesus in der Sprache von heute“ blieb leider eine einmalige Angelegenheit. Es stellte sich heraus, daß die Teilnehmer aus den verschiedenen Kirchen inhaltlich dicht beieinander waren in dem Bemühen, das Evangelium lebendig und auf den Adressaten bezogen zu verkündigen. Aber es nahmen nur 18 Personen teil, vier hatten kurzfristig abgesagt. Auch bei der regelmäßigen Konferenzarbeit haben einige Delegierte und Vertreter sowie ihre Stellvertreter Schwierigkeiten, die Termine wahrzunehmen. Mehreren Kirchen und Gemeinschaften gelang es nicht, Stellvertreter für ihre Plätze in der Konferenz zu finden. Ihre Personaldecke war zu kurz. Sie waren in den 90er Jahren durch die Veränderungen, die mit dem staatlichen und kirchlichen Vereinigungsprozeß verbunden waren, in hohem Maße in Anspruch genommen; ihr Zeit- und Krafthaushalt schränkte die Übernahme zusätzlicher Aufgaben ein.

Das dürfte auch eine Ursache dafür sein, daß die ständig angestrebte Zusammenarbeit mit den acht örtlichen Ökumenischen Arbeitskreisen in Aue, Chemnitz, Dresden, Freiberg, Görlitz, Leipzig, Plauen und Zwickau nicht oder nur selten zustande kam, allenfalls in Dresden, Görlitz und Leipzig. Das schließt nicht aus, daß diese Arbeitskreise die durch die ACK Sachsen vermittelten Impulse oder die weitergegebenen Materialien doch verwenden konnten.

Eine große Bedeutung hatte das Bemühen, einander kennenzulernen mit den jeweiligen Stärken und Schwächen. Regelmäßig haben Delegierte und Vertreter ihre Kirche oder Gemeinschaft in den Konferenzen vorgestellt und von ihr berichtet. Wir erfuhren voneinander viel bisher Unbekanntes. Das ließ uns Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede entdecken, und wir nahmen Anteil an den Schwierigkeiten, mit denen die Mitglieder und Gäste der ACK Sachsen in ihrem eigenen Bereich sich zu beschäftigen hatten.

Ein eigenes Thema wurde das Verhältnis zur Staatsregierung im Freistaat Sachsen. Zu unserer Überraschung erließ plötzlich im Januar 1993 das Innenministerium eine Verwaltungsvorschrift, nach der ein Austritt aus einer Kirche ausschließlich vor dem Standesamt erfolgen mußte, auch wenn der Betreffende nur in eine andere Kirche übertreten wollte. Zu DDR-Zeiten hatten die Kirchen interne Regelungen vereinbart: Bereits seit dem 6. Mai 1959 konnte ein Wechsel zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und einer evangelischen Landeskirche in beide Richtungen nach einem eigenen Verfahren ablaufen, ohne daß das Standesamt oder das Staatliche Notariat einbezogen werden mußte. Seit dem 11. Mai 1979 hatte die AGCK für ihre Mitglieder vergleichbare Regelungen empfohlen.

Sechs Jahre waren nötig, um im Einvernehmen mit den zuständigen Ministerien eine Übertrittsvereinbarung abzuschließen, die zwischen den kirchlichen Partnern einen Wechsel zuläßt, ohne daß der oder die Betreffende vor dem Standesamt einen Kirchenaustritt erklären muß. Die Formulierung der zwischenkirchlichen Vereinbarung war zum 30.9.1994 abgeschlossen. Daran haben mehrere Mitgliedskirchen mitgearbeitet, auch die röm.-kath. Ordinariate. Danach wurden die staatlichen Regelungen erarbeitet. Die beiden Beauftragten der Evangelischen bzw. der Röm.-Kath. Kirchen, OKR Jürgen Bergmann und Prälat Dieter Grande, leisteten wichtige Hilfestellung und erläuterten den staatlichen Mitarbeitern, die unsere Erfahrungen nicht kannten, die Zusammenhänge. Glücklicherweise bestand bereits im Bundesland Baden-Württemberg eine derartige zwischenkirchliche Übertrittsvereinbarung, die auch von der dortigen Landesregierung respektiert wurde. Ein Teil der Mitarbeiter in den zuständigen Ministerien für Kultus, Justiz, Inneres und Finanzen kam aus diesem Bundesland. Nach anfänglichen Verständnisschwierigkeiten haben sie konstruktiv mitgearbeitet.

Die staatliche Seite wollte die gesetzliche Regelung im Staatsvertrag mit der Röm.-Kath. Kirche unterbringen, der im Jahre1995 abgeschlossen werden sollte. Dazu kam es jedoch nicht. Unter dem 22. Juni 1995 schrieb das Ordinariat des Bistums Dresden-Meißen an den Vorstand der ACK Sachsen: „Mit Rücksicht auf die in den anderen Bundesländern getroffenen Regelungen und die zugrunde gelegte Rechtslage sehen wir uns jetzt veranlaßt, unsere Zustimmung zum Abschluß dieser Vereinbarung zurückzunehmen.“ Im gleichen Sinne äußerte sich auch das Ordinariat in Görlitz. Es wurde die Hoffnung ausgedrückt, daß dies noch nicht das letzte Wort sei.

Der katholische Bischof Dr. Wanke aus Erfurt, der unterdessen Vorsitzender der ACK Deutschland geworden war, sprach von einem „Lernprozeß“, den seine Kirche im Westen durchlaufe. Wir erfuhren, daß das Institut für Staatskirchenrecht der katholischen Deutschen Bischofskonferenz die Rücknahme der Zustimmung ausgelöst habe. Später wurden uns jedoch auch theologische Probleme mitgeteilt, die etwa auf der gleichen Ebene liegen wie die Äußerungen der röm.-kath. Glaubenskongregation vom 10. Juli 2007, daß die „Gemeinschaften, die aus der Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgangen sind“, „nach katholischer Lehre nicht 'Kirche' im eigentlichen Sinne genannt werden“ können.

Dieser Sachverhalt verzögerte den Abschluß der Übertrittsvereinbarung erheblich. Die drei katholischen Jurisdiktionsbezirke mußten aus dem Text der Vereinbarung entfernt werden. Dafür konnte der Bund Freier evangelischer Gemeinden BFeG eingetragen werden, der erst zu diesem Zeitpunkt zu einer Entscheidung über die Zustimmung in der Lage war. Der staatlichen Seite mußte mitgeteilt werden, daß alle anderen kirchlichen Partner nach wie vor an der Vereinbarung interessiert blieben.

Im Januar 1998 erschien dann eine Änderung des staatlichen Sächsischen Kirchensteuergesetztes. Innerhalb von sechs Wochen erfolgten die Unterschriften und die Siegelungen der Übertrittsvereinbarung durch die 15 kirchlichen Partner. Sie trat am 1. Juli 1998 in Kraft. Anfang September des gleichen Jahres wurde die entsprechende Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministerium des Inneren über das Kirchenaustritts- und Übertrittsverfahren verabschiedet. Dazu gehören als Anlagen der Wortlaut der Übertrittsvereinbarung und das Muster einer Kirchenamtlichen Bescheinigung zum Übertritt zwischen Christlichen Kirchen im Freistaat Sachsen. Für dieses Muster diente u.a. ein Formular aus der Röm.-Kath. Kirche als Vorlage.

Ein weiteres Problem bedurfte einer Lösung durch die Staatsregierung. Eine Reihe von Kirchen und Gemeinschaften war in Sachsen schon seit alters anerkannt als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR). Diese Anerkennung war eine Voraussetzung dafür, von staatlicher Seite in diese Übertrittsregelung einbezogen zu werden. Mehrere Kirchen besaßen diese Anerkennung, die von jedem Bundesland einzeln vollzogen werden mußte, in Sachsen noch nicht. In anderen Bundesländern war sie jedoch längst ausgesprochen. Erhebliche Anstrengungen waren nötig, diese Anerkennung auch für die übrigen Kirchen und Gemeinschaften zu erhalten, die sie beantragt hatten und die die Voraussetzungen dafür erfüllten. Dabei halfen wiederum die beiden Beauftragten der katholischen und der evangelischen Kirchen bei der Staatsregierung. Sie vermitteln Kontakte zwischen den Kirchen und dem Landtag, den Ministerien, den Parteien und ihren Stiftungen, den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden. Sie brachten die Stellungnahmen der kirchlichen Fachleute zu verschiedenen Gesetzesvorhaben ein, z.B. zur Landesverfassung, zu den Bildungs- und Schulgesetzen, zur Feiertagsregelung, zur Sonderseelsorge und zum Friedhofswesen. Nur die Evangelischen Landeskirchen und die Römisch-Katholischen Jurisdiktionsbezirke haben solche Beauftragte ernannt und ihnen ein derartiges Mandat erteilt. Die ACK hat dafür keine Kompetenz, sie kann nur vermitteln.

Nun zähle ich stichwortartig weitere Schlaglichter auf, die auf der Tagesordnung der ACK Sachsen in der Gründungsphase standen:

Die Konferenz beschäftigte sich mit dem unterschiedlichen Taufverständnis, das zwischen der Praxis der Säuglings- und Kindertaufe auf der einen Seite und der Bekenntnistaufe auf der anderen Seite besteht. In mehreren Gemeinden von Mitgliedskirchen der ACK Sachsen wurde die Taufe von übertretenden Gemeindegliedern wiederholt, weil die vorher erfolgte Taufe nicht als gültig anerkannt wurde.

Angehörige kleinerer evangelischer Kirchen trugen an die Leitungen ihrer Kirchen den Wunsch heran, an den Schulen im Freistaat Sachsen evangelischen Religionsunterricht erteilen zu können. Das war insofern nicht selbstverständlich, als es sich teilweise um Gemeinschaften handelte, die die Säuglings- und Kindertaufe ablehnten. Es mußte ein Kompromiß gefunden werden, der dann in eine entsprechende Vereinbarung zwischen den Kirchen mündete.

Die Konferenz beschäftigte sich mit mehreren Anträgen auf Aufnahme in die ACK Sachsen, entweder als Mitglied oder als Gast. Eine besondere Rolle spielten auch damals bereits die Anträge mehrerer charismatischer Einzelgemeinden, die in den 90er Jahren in Abgrenzung zu den anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften entstanden waren und die auf einmal Mitglieder der ACK werden wollten. Die Richtlinien sehen vor, daß keine Einzelgemeinden aufgenommen werden. Sie sollten sich den örtlichen Ökumenischen Arbeitskreisen anschließen. Da diese Erscheinung auch in anderen Bundesländern zu beobachten war, beschäftigte sich auch die ACK Deutschland mit den Aufnahmekriterien.

Als einzige Kirche, zu der zunächst vorwiegend Ausländer gehörten, bestand damals in Sachsen die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) des Moskauer Patriarchats mit den Gemeinden und ihren Gebäuden in Dresden und Leipzig und dem Sitz des Erzbischofs in Berlin. Im Laufe des Jahres 1993 wurde die ROK aus dem Gaststatus als Vollmitglied in die ACK Sachsen aufgenommen. In diesem Zusammenhang beschäftigte sich die Konferenz auch mit der ökumenischen Situation zwischen den verschiedenen Kirchen in Rußland. Auf der einen Seite erreichten uns Informationen über Spannungen in bestimmten Gebieten, auf der anderen Seite erfuhren wir von dem ökumenischen Wirken orthodoxer Erzbischöfe in Rußland, die früher in Berlin tätig waren. Weiterhin nahmen wir Anteil an der rechtlichen Unsicherheit der Dresdner Gemeinde mit ihrem Grundstück und dem Kirchengebäude. Wir waren beteiligt an dem Empfang, den die sächsische Landeskirche und das Bistum Dresden-Meißen für Patriarch Alexej II. gaben, der im November 1995 die beiden sächsischen Gemeinden seiner Kirche besuchte. Unterdessen hat sich das Verhältnis der Russischen Orthodoxen Auslandskirche zu dem Moskauer Patriarchat grundlegend verändert, und es besteht sicher weiteres Informationsbedürfnis bei den Mitgliedern und Gästen der ACK über die Einzelheiten.

4. Beobachtungen und Erkenntnisse

Ausschlaggebend für die Gründung auch der ACK Sachsen war die Erkenntnis, daß die Christen und ihre Kirchen sich gegenseitig brauchen und ergänzen. Etwa ein Viertel der sächsischen Bevölkerung gehört einer christlichen Kirche an. Die Christen haben von Jesus Christus eine gemeinsamen Auftrag. Gott der Herr hat sie mit reichen Begabungen versehen - nicht zum Selbstzweck oder zum privaten Genuß, sondern für den Dienst in der Welt. Diese Gaben gemeinsam anzuwenden ist ein Akt der Glaubwürdigkeit ihres Bekenntnisses zu Jesus Christus.

Das läßt sich leichter sagen und fordern als tun. Aber wir müssen erfinderisch sein, an welchen Stellen ein gemeinsames Handeln sowohl dem Auftrag Jesu Christi als auch den gemeinsamen Interessen entspricht. Oft sind es die nichttheologischen Faktoren, die sich in den Vordergrund drängen. Da können Themen und Aufgaben noch so wichtig sein – wenn sich niemand dazu meldet oder andere Aufgaben wichtiger zu sein scheinen, bleiben sie unerledigt. Aber es ist auch nicht zu übersehen, daß die Möglichkeiten der ACK sehr gering sind. Die Kompetenzen liegen bei den Leitungen der Mitgliedskirchen.

Wenn es trotzdem gelingt, mit einer Stimme zu sprechen, ist das ein großes Geschenk, das nicht selbstverständlich ist. Ein solches Ereignis fand am 30. April 1989 statt, als die Mitgliedskirchen der AGCK die Texte der Ökumenischen Versammlung entgegennahmen und ihre Umsetzung zu bedenken begannen. Unterdessen ist davon einiges gelungen, anderes nicht. Neue Aufgaben sind hinzugekommen. Oft ist es schwer, die verschiedenen Kirchen zu einer gemeinsamen Stellungnahme oder Aktion zu bewegen. Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse brauchen ihre Zeit, und je mehr Gremien an einer Willensbildung beteiligt sind, um so beschwerlicher und langwieriger verläuft der Weg. Da sind Geduld und Fantasie und Einsatzbereitschaft erforderlich, das kann an den Kräften zehren.

Aber wir Christen haben die Zusage, daß Gott seinen Heiligen Geist geben wird, wenn wir uns einig werden, ihn darum zu bitten. Auf Grund dieser Verheißung können wir weiter arbeiten – trotz aller Mühen und Beschwernisse. Es ist Seine Kirche, zu der wir gehören, und nicht unsere Verfügungsmasse. Wir sind vielgestaltige Exemplare der gleichen Pflanze, und wir wollen darauf achten, was unser Herr Jesus Christus von uns erwartet. Er bittet Gott den Herrn für uns Christen (Johannes 17, 22/23) darum, „daß sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst“.

14. November 2007, ergänzt am 19. Februar 2008

Veröffentlicht von

Pfarrer Michael Karstädt

Pfarrer i.R. Michael Karstädt, bis 2003 Ökumenebeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, von 1992 bis 1998 Schriftführer der ACK Sachsen

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