„Sie sollen eins sein, damit die Welt glaubt!“

„Sie sollen eins sein, damit die Welt glaubt!“

Katholische Anmerkungen zu einer missionarischen Kirche1

Impuls beim Studientag „Mission in pluralem Kontext - Zugänge aus verschiedenen Traditionen im Gespräch", veranstaltet von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen im Freistaat Sachsen am 5. Februar 2015, Dresden. Der Vortragsstil wurde beibehalten.

1. Einführung

Der Verhaltenscodex „Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ stellt v. a. durch seine Unterzeichner, den Ökumenischen Rat der Kirchen, die Weltweite Evangelische Allianz (WEA) und die römisch-katholische Kirche einen Meilenstein dar. Erstmals wurde in dieser Breite eine Kernfrage des Christlichen, die Mission bearbeitet. Auch Geoff Tunnicliff, Generalsekretär der WEA, meinte bei der Präsentation, dass es wirklich Neues nicht zu sagen gäbe, es aber eben noch nie in dieser Weise und noch nie in einer solchen Kooperation gesagt worden sei. Insgesamt ist die Erklärung Ausdruck eines friedlichen Miteinanders der Religionen, die von uns als Christen ein einladendes Bekenntnis unseres Glaubens, die respektvolle Zuwendung zu Menschen anderer religiöser Überzeugungen und Solidarität mit denen, denen das Ausdrücken ihrer religiösen Überzeugungen verwehrt wird, verlangt. Das Dokument betont mehrfach, „dass Christinnen und Christen in ihrem Zeugnis das Beispiel Christi nachahmen sollen, und ihr Handeln dabei von Integrität, Nächstenliebe, Demut und Respekt gekennzeichnet sein muss.“2 Explizit werden folgende Verhaltensweisen benannt, die den wahrhaftigen Geist des christlichen Zeugnisses verraten3:

  • Täuschung und Zwangsmittel,
  • Ausnutzung von Armut und Not von Menschen,
  • Materielle Anreize und Belohnungen,
  • die Verwundbarkeit und das Bedürfnis von Menschen nach Heilung ausnutzen,
  • jede Form von Gewalt und Druck oder Diskriminierung,
  • die Zerstörung von Gottesdienstgebäuden, heiligen Symbolen und Texten anderer Religionsgemeinschaften,
  • falsches Zeugnis über andere Religionen reden.

Ich möchte an dieser Stelle gern auf einen Punkt abheben, der in dem Dokument explizit ausgespart wurde: Es stellt „keine theologische Erklärung zur Mission" dar, „sondern verfolgt die Absicht, sich mit praktischen Fragen auseinanderzusetzen, die sich für das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt ergeben“ (Präambel). Implizit scheint jedoch manches bereits durch, etwa der Grundbegriff des Zeugnisses. So ist deutlich, dass die „Mission, im Sinne von Zeugnis, Dienst und Verkündigung, zum Wesen der Kirche gehöre und all diese Wesensäußerungen [...], im Einklang mit den Prinzipien des Evangeliums geschehen [müssen]. Ein solches Prinzip, das im Text genannt wird, ist die uneingeschränkte Liebe zu Menschen, ein anderes, sich bewusst zu sein, dass Menschen nur Teil haben an Christi Zeugnis, und dass jede Bekehrung Werk des Heiligen Geistes und nicht des Missionars ist. Hier wird ein Missionsverständnis ansichtig, das zwar mit einer Veränderung von Menschen rechnet, jedoch anerkennt, dass eine Bekehrung eben nicht das Ergebnis menschlicher Tüchtigkeit oder Überzeugungskraft ist.“4 Dennoch liegt m. E. noch die große Aufgabe vor uns, theologisch zu klären, was Mission überhaupt meint. Dazu möchte ich versuchen, etwas beizutragen.

Der Gedanke „Missionarisch Kirche sein“ liegt in der Luft und ist doch schwer zu fassen. In seiner Unbestimmtheit schwankt er zwischen der Definition als kirchliche Ur-Aufgabe und der Bestimmung als peinliche Neuetikettierung, zwischen der Realisierung des Heilswillens Gottes und gemeindlicher Vorfeldpastoral, zwischen dem Dienst am Menschen und verschleierten kirchlichen Eigeninteressen. Im Blick auf die Reaktion der Mitmenschen ist erstaunlicherweise eine Ambivalenz in Bezug auf den Missionsbegriff festzustellen. Einerseits wird sehr allergisch auf das Wort Mission reagiert, auch von Christen. Dieser Begriff ist negativ besetzt, man denkt an geistigen Imperialismus und Gewalt (v. a. im Blick auf die Kolonialgeschichte), an Intoleranz (die Überzeugungen der Anderen nicht gelten lassen können), an „religiöse[n] Hausfriedensbruch“, der religiösen Unfrieden stiftet. Andererseits wird im politischen und wirtschaftlichen Kontext wie selbstverständlich von Mission geredet: es gibt militärische Missionen, humanitäre Missionen (beispielsweise der UN), Fußballmissionare und „mission statements“ wohin man blickt: „Mission“ ist also zugleich ein anstößiges und ein inflationäres Wort.5

Daher möchte ich meine grundlegende Perspektive im Anschluss an Bischof em. J. Wanke folgendermaßen formulieren: Beim Thema Mission „geht es um die Wiedergewinnung einer Grundbestimmung des Christseins und des Kircheseins: Wir sind nicht für uns selbst da. Wir haben als katholische Christen (in Gemeinschaft mit allen anderen Mitchristen in der Ökumene) für alle Mitbürger in diesem Land eine Aufgabe. Ohne das Evangelium Jesu Christi fehlt [...] etwas Entscheidendes. Es fehlt [...] ,das Licht von oben‘, der Gotteshorizont.“6

2. Das Evangelium als „Markenkern“

Ich möchte ansetzen mit einigen biblischen Bemerkungen: Jesus verkündet das Kommen des Gottesreiches und wendet sich an die „verlorenen Schafe des Hauses Israel“ (Mt 10,5). Allein die Wahl der Zwölf steht zeichenhaft für die Erneuerung des Gottesvolkes. Dabei sind besonders die „Kleinen“ im Blick (Lk 6,20f.: Feldrede):

„Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes. Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden. Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen.“

Diesen Anbruch der Gottesherrschaft zu verkünden ist das Modell der Aussendung der Jünger:

„Geht! Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemand unterwegs! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Mann des Friedens wohnt, wird der Friede, den ihr ihm wünscht, auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet [...]“ (Lk 10,3-7).

Diese „Methode“ zwingt die Jünger, sich ganz und gar auf die einzulassen, zu denen sie gesandt sind. Der Friede Gottes soll und muss „im Miteinander des gemeinsamen Lebens“7 erprobt werden: es geht hier um die „das Leben erneuernde Zuwendung des Erbarmen Gottes“8. Und dieses gilt allen in Israel, daher wird Jesus auch ein „Fresser und Säufer“, ein „Freund der Zöllner und Sünder“ (Lk 7,33f.; Mk 2,16) genannt, da er sich auch zu den Nicht-Stubenreinen, den Unreinen, den Nicht-Frommen setzte: dies ist praktizierte Gottesherrschaft, erfahrbare und erlebbare Feste des Erbarmens Gottes (vgl. Zachäus; Lk 19,1-10). Hier steht nicht das Gericht im Vordergrund (vgl. Johannes der Täufer), sondern „die schon in der Gegenwart gegebene Erfahrung der Gottesherrschaft“9. Und eben diese Erfahrung des Erbarmens Gottes weitet sich nach Ostern hin auf alle Völker. Nun werden alle Menschen, „Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Mann und Frau“ (Gal 3,28) eingeladen, sich dem Reich Gottes anzuvertrauen, denn in Christus Jesus sind alle „einer“. Dies ist das durchtragende Moment: Es geht nicht darum, „durch den Hinzugewinn von Sympathisanten Einfluss zu gewinnen oder die eigene religiöse Aktionsbasis zu vergrößern. Es geht vielmehr darum, angesichts vielfacher existentieller Not der Menschen das Erbarmen Gottes zu verkünden und zu leben.“10

Das Erbarmen Gottes hat ein Gesicht und einen Namen: Jesus. Das Evangelium ist die Frohe Botschaft, „die das Kommen Jesu meint und sich auf seinen Ostersieg über Sünde und Tod bezieht.“11 In diesem Sinne ist nicht allein die Botschaft von Jesus das Evangelium, sondern er selbst ist das Evangelium, seine Person, sein Geschick. In ihm ist es zu einem grundlegenden Machtwechsel, zu einer Ablösung aller gottfeindlichen Mächte und Gewalten gekommen - der Auferstandene ist zum Herrn über alle Welt eingesetzt. Diese Perspektive bedeutet eine neue Sicht auf die Welt und das eigene Leben. Sie erweitert den eigenen Horizont. Nicht ohne Grund beginnt das öffentliche Auftreten Jesu mit den Worten „Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15) - Das bedeutet eine „radikale Kursänderung in der Gesamtausrichtung unseres Lebens.“12 Papst em. Benedikt XVI. sagt in diesem Zusammenhang: „Das Christentum ist keine Summe von Ideen, keine Philosophie oder Theologie, sondern ein Lebensstil.“13 Jesus schließt uns den Gotteshorizont auf!

Gerade deshalb, weil es um Jesus Christus geht, bedeutet eine neue Evangelisierung, eine neue Mission nicht ein „neues und ein neumodisches Evangelium, auch nicht ein der Zeit angepasstes Evangelium. Das Evangelium ist nie angepasst und bequem. Es ist immer anstößig und liegt immer quer.“14 In diesem Zusammenhang sei auch im Anschluss an Kard. W. Kasper noch Folgendes erwähnt: „Wir dürfen uns nicht einbilden, wir könnten es besser als Jesus, der am Ende ans Kreuz geschlagen wurde und nur so den Weg zu Ostern bahnte.“15 All unsere Bemühungen werden nicht ohne Konflikte vonstatten gehen, genauso wenig wie bei der „alten Evangelisierung“.

Bei dem Thema Missionarisch Kirche sein, Evangelisierung geht es also nicht primär um „Aktionen, neue Strukturen, neue Planstellen, zusätzliche Haushaltsmittel, nicht darum Gremien einzusetzen oder Konferenzen einzuberufen.“ Es geht vielmehr darum „neu, ansprechend und zündend von Gott und Jesus Christus zu sprechen, so, dass Menschen in ihrem Herzen und in ihrem Leben berührt und betroffen werden, die Welt verwandelt und die Kirche neu zur Heimat für viele Fragende und Suchende wird. [...] Das ist eine geistliche Herausforderung.“16

Und weil es zuerst und vor allem um die Gottesfrage geht, um eine Hinführung zum Geheimnis, ist die neue Evangelisierung, und ich orientiere mich hier erneut an Kard. Walter Kasper, aber auch an Bischof Joachim Wanke, in erster Linie eine „Gebetsschule“17. Die Jünger bitten Jesus im Lukasevangelium: „Herr, lehre uns beten“ (Lk 11,1). Wie kann eine persönliche Beziehung aufgebaut werden zu Gott? Es geht um Begeisterung, Leidenschaft und Freude an Gott. In seinem Hirtenbrief zur österlichen Bußzeit 2012 formuliert es der Erfurter Bischof Joachim Wanke so:

„Ich bin fest davon überzeugt: Die Erneuerung der Kirche und meines persönlichen Christseins beginnt von innen her. [...] Wir leben in einer Zeit, die im Begriff ist, Gott zu vergessen. Es besteht die reale Gefahr, dass wir Christen selbst in den Strudel der Gottvergessenheit hineingerissen werden. Irgendwie ist man noch nominell Christ und bekennt sich auch dazu, aber man lebt dann im Alltag so, als ob es Gott nicht gäbe. Was kann da helfen? Meine Antwort lautet: Das Gebet.

In die Gebetsschule des Herrn gehen - das ist eine Aufgabe, die vor allen anderen Aufgaben, die wir in unseren Gemeinden zu erledigen haben, Vorrang hat. Ja, erst so können die sonstigen kirchlichen Aktivitäten, die auch wichtig und notwendig sind, nachhaltig und fruchtbar werden, etwa die Sorge um den Nächsten, um Gottesdienste, um religiöse Bildung oder Gremienarbeit. Es ist wie mit dem Grundwasser. Man sieht es nicht, aber erst sein Vorhandensein macht einen Garten oder einen Acker fruchtbar. Die vor uns liegende Fastenzeit soll uns einen neuen Anstoß geben, uns intensiver um das Beten zu mühen.“18

3. Missionarisch Kirche sein

Eine persönliche Beziehung, eine jede Freundschaft und noch mehr eine jede Nachfolge verlangt, dass ich den anderen kenne. Um jemanden auf etwas aufmerksam zu machen, muss man es selber erst einmal erfahren, gesehen haben. Jesus sagt es so: „Kann ein Blinder einen Blinden führen?“ (Lk 6,39). Doch dieser Gedanke darf nicht in ein Schwarz-Weiß-Schema abrutschen, nach dem auf der einen Seite die Christen, die Getauften und Gefirmten und die Anderen auf der anderen Seite stehen. Das Evangelium kann nicht einfach wie ein Paket weitergereicht werden und ist uns Christen nicht näher als den anderen: „Wir Christen sind nicht besser als unsere Mitmenschen. Aber wir haben es besser. Wir haben in unseren Händen [...] was andere nicht haben, eine sehr präzise Landkarte, die das Lebensterrain im Überblick zeigt und die gangbaren Wege zu dem alles entscheidenden Ziel.“19 Aber auf diesem Weg sind die Christen eben wie alle Menschen als „wanderndes Gottesvolk“ unterwegs: „Wir kennen den Weg, auch wenn wir ihn schuldhaft und verbockt zeitweilig selbst nicht gehen.“20

Damit ist die ständig notwendige Umkehr angesprochen, die Selbstevangelisierung der Kirche, ohne die die Evangelisierung, die Mission nicht möglich ist. Denn wenn wir Christen religiöse Analphabeten geworden sind, nicht mehr sprachfähig, nicht mehr auskunftsfähig, brauchen wir eine neue Art von „Glaubensschule“21, die uns hilft, wieder sprachfähig zu werden. „Die eigentliche Glaubenskrise liegt heute im weitgehenden Verblassen des biblischen und kirchlichen Christusglaubens.“22

Die Kirche soll nun, in katholischer Perspektive, dem Evangelium vom Reich Gottes in jeder Generation einen „Resonanzraum“ (Wanke) schaffen. Sie hat also grundsätzlich einen dienenden Charakter. Als „pilgernde Kirche ist sie ihrem Wesen nach missionarisch (d. h. als Gesandte unterwegs)“ (Ad gentes 2). Mission ist so ein grundlegendes kirchliches Charakteristikum, Ur-Aufgabe der Kirche, kein Nebenschauplatz ihres Wirkens. Bei der Erfüllung dieser missionarischen Ur-Aufgabe müssen alle kirchlichen Überlegungen die Menschen und ihre realen Lebensbedürfnisse ernst nehmen, und das nicht um die „eigentliche“ Mission vorzubereiten, sondern um in den Problembewältigungen der Menschen einen Anknüpfungspunkt zu sehen, den Heilswillen Gottes zu bezeugen. Eine solche dialogische Auseinandersetzung ist für einen wirklichen Austausch absolut notwendig. Die Kirche ist damit im doppelten Sinne eine „hörende Kirche“ - sie hört das Wort Gottes und sie hört die Stimmen der Zeit. Denn eine missionarische Pastoral ist eine Aufgabe für die Welt. In diesem Sinne hat die Kirche Anteil an der Pro-Existenz Christi, ihres Herrn. Die Solidarität der Kirche mit dem realen Leben der Menschen, mit der „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art“ (Gaudium et spes 1) rückt die Frage der Schicksalsgemeinschaft aller Menschen in den Fokus. Denn die Art, wie die Kirche auf den „Schrei der Armen“ reagiert, bestimmt die missionarische Praxis und Glaubwürdigkeit der Kirche (Allen Völkern sein Heil 18-20). Kirche ist nicht allein für sich verantwortlich, sondern geht notwendigerweise immer über sich selbst hinaus, ist niemals Selbstzweck, sondern eben immer „Zeichen und Werkzeug“ (Lumen gentium 1), auch und gerade wenn sie diesem Anspruch nicht immer voll gerecht geworden ist. Jesus ist gesandt, „den Armen eine gute Nachricht zu bringen; den Gefangenen die Entlassung zu verkünden und den Blinden das Augenlicht; die Zerschlagenen in Freiheit zu setzen und ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen (Lk 4,18f.). Im Sinne ihrer Pro-Existenz muss die Kirche im Anschluss an ihren Herrn das auf verschiedenste Art und Weise bedrohte Leben zum Ausgangspunkt aller Sendung nehmen. Und damit ist eben nicht nur der physische Hunger gemeint, sondern eben auch das Hungern und Dürsten nach Gott selbst.

Daher geht es bei allen katholischen Reformdebatten nicht um eine neue Kirche, sondern um eine neue Art Kirche zu sein, eben eine missionarische, was wie ja schon deutlich geworden sein dürfte, gar keine neue Art, sondern eine ganz ursprüngliche ist.23 Wenn die Kirche nicht missionarisch ist, ist sie nicht mehr Kirche, sie verliert ihren ureigentlichen Zweck. Die Kirche ist als „Resonanzraum“24 der Melodie des Evangeliums (Joachim Wanke) der erste Lebens- und Erfahrungsraum des Glaubens. Sie soll den Dank an Gott unter allen Menschen vervielfältigen (2 Kor 4,15). Überdeutlich ist damit, dass die Kirche nicht um ihrer selbst willen da ist. „Sie soll Gottes Wirklichkeit bezeugen und möglichst alle Menschen mit Jesus Christus, mit seinem Evangelium in Berührung bringen.“25 Das ist der Gehalt der sakramentalen ekklesiologischen Bestimmung des II. Vatikanischen Konzils, das die Kirche als „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (Lumen Gentium 1) beschreibt. Kirche ist nicht der „heilige Rest“, kein Rückzugsort für die Vollkommenen, sondern Ferment, Sauerteig. Aus genau diesem Grund ist Mission kein Anhängsel. Das Christentum gibt es nur, weil es die Mission gibt.

Hier kommt der auch in unserem Dokument „Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ so bedeutende Begriff des Zeugnisses wieder ins Spiel: Denn es wird sehr wohl wahrgenommen, ob Christen wirklich überzeugt sind von dem, was sie erfüllt. Nicht ungerechtfertigt höhnt F. Nietzsche in seinem Zarathustra über uns Christen: „Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne: erlöster müssten mir seine Jünger aussehen!“ Wie Recht er damit hat! Eine „neue Evangelisierung braucht auch heute vom Geist ergriffene heiligmäßige Menschen.“26

Der christliche Gottesglaube ist aber nicht andemonstrierbar. Er muss erprobt werden, um seine Evidenz zu erweisen. Das ist ähnlich wie bei Bindungen an Werte: Wenn man von ihnen nicht ergriffen wird, sind Belehrungsversuche mit der Zielrichtung ihrer Verinnerlichung meist aussichtslos. Was man aber tun kann ist: Man kann solche Bindungen bezeugen, man kann von ihnen erzählen, man kann sie empfehlen („vorschlagen“ - proposer, wie der bekannte Brief der französischen Bischöfe „Proposer la foi“ formuliert).27 Und genau das - Bezeugen, Erzählen, Vorschlägen - sind die Felder, innerhalb derer sich eine Mission ereignen kann. Dabei müssen die „entsprechenden Initiativen [...] beachten: daß sie den Abgrund zwischen der kirchlichen Verkündigung und den nichtchristlichen Adressaten nicht unterschätzen [...]; daß sie sich der Abwertung der anderen Seite enthalten [...]; daß sie ihre Zielstellung klären, ohne die eigene Schwäche zu kaschieren“28.

4. Zur Ökumene als „Überlebensfrage“

An dieser Stelle soll natürlich auch die ökumenische Dimension einer missionarischen Pastoral angesprochen sein. Die ökumenische Frage ist eine „Überlebensfrage“29, da das Christentum in Zukunft nur dann als Gesprächspartner ernst genommen werden wird, wenn es sich als eine einheitliche christliche Kirche präsentiert, nicht als widersprüchliches Durcheinander. Daher ist dies auch ein zentraler Pfeiler einer missionarischen Pastoral, einer Pastoral, die für sich beanspruchen will, gehört zu werden. Hier sehe ich im Blick auf die Mission Arbeitsfelder. Ich möchte nur zwei Beispiele nennen:

4.1. Soteriologische Begründung der Mission

Die Katholische Kirche hat sich im II. Vatikanum zum allgemeinen Heilswillen Gottes und zu einer Heilsmöglichkeit der Nichtchristen bekannt (LG 16). Gottes Heil gilt allen Menschen, und es kann zu ihnen gelangen auf Wegen, die nur er kennt. Ohne die Wirklichkeit der Sünde ausblenden zu wollen, steht damit auch die gesamte Schöpfung „unter dem Horizont der Gnade“ (W. Kasper). Welt und Kirche stehen nach katholischem Verständnis also in einem Verhältnis existentieller Solidarität: „Hilfsbedürftig vor Gott sind alle Menschen. Aber uns Glaubenden hat Gott die Gnade geschenkt, dass wir 1. unsere Hilfsbedürftigkeit einsehen und vor allem 2. wissen, woher uns Hilfe kommen kann.“30

Im Anschluss an B. Neumann wäre meine Frage, ob diese Voraussetzung geteilt wird, oder ob es nicht auch „die Vorstellung einer buchstäblich gnadenlosen Welt gibt, die nur durch die Verkündigung des Evangeliums gerettet werden kann“31? Walter Klaiber, der langjährige Vorsitzende der ACK in Deutschland, hat einmal davon gesprochen, dass sich an der „soteriologischen Begründung der Mission [...] im evangelischen Bereich die Geister“32 scheiden. Die verschiedenen Positionen müssten über den Verhaltenskodex hinaus ins Gespräch gebracht werden.

4.2. Ökumenische Dissonanzen

Auch im Blick auf den jüngeren EKD-Text „Rechtfertigung und Freiheit. 500 Jahre Reformation 2017“ stellt sich die Frage nach den Früchten der ökumenischen Gespräche der letzten Jahrzehnte, u. a. da die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999) überhaupt nicht erwähnt wird. Wolfgang Thönissen, Leitender Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn und Professor für Ökumenische Theologie an der Theologischen Fakultät Paderborn, spricht von „antikatholischen Grundsätzen“, die durch die in diesem EKD-Text als ausschließende Regulative verstandene Exklusivpartikel (solus Christus, sola gratia, solo verbo, sola scriptura, sola fide) vertreten werden. In „Rechtfertigung und Freiheit“ heißt es „Das ,allein‘ spitzt jedes Kernelement exklusiv zu und schließt so anderes aus. ,Allein [...]‘ heißt hier also immer ,nicht [...]‘“.33 Zugespitzt bedeutet dies „Christus bleibt ohne seinen Leib, die Kirche, die Gnade bleibt ohne Konkretion in guten Werken, das Wort bleibt ohne Verleiblichung in den Sakramenten, die Heilige Schrift bleibt abstrakt, losgelöst vom lebendigen Zusammenhang mit der Tradition. Der Glaube ist zwar tätiger Glaube, aber gute Werke entstehen ,quasi automatisch‘[...] Dieses protestantische Programm geht dann tatsächlich nicht mit dem ökumenischen Programm zusammen.“34 An dieser und anderen Stellen stellt sich also katholischer- wie evangelischerseits die Frage nach Notwendigkeit und weiterführendem Charakter konfessioneller Profilierungsversuche, gerade auf dem Hintergrund eines gemeinsamen christlichen Zeugnisses.

Diese abschließenden Bemerkungen möchte ich als Aufruf verstanden wissen: Wenn die Ökumene eine Herzkammer der Mission ist - und ich bin überzeugt, dass sie das ist -, dann müssen wir die Herausforderung einer missionarischen Kirche auch mit einer guten Theologie der Ökumene versehen. Die Spaltung schwächt die Überzeugungsmächtigkeit der Verkündigung. Die gemeinsame Suche und das gemeinsame Bemühen um eine vielgestaltige Einheit (nicht um eine uniformistische Einheitlichkeit) im Bekennen des apostolischen Glaubensbekenntnisses, im Verständnis der Sakramente und im Verständnis der Kirche und des kirchlichen Amtes sind deshalb zentral, da eine missionarische, eine evangelisierende, eine Gott bezeugende Präsenz Aufgabe der Kirche ist. Eine Aufgabe, die schon jetzt, anfanghaft, in einer gemeinsamen Strategie angegangen werden könnte und sollte. Es geht darum, gemeinsam, nicht gegeneinander, den Menschen den Gotteshorizont zu eröffnen: „Wenn wir gemeinsam Zeugnis geben, wird unsere Stimme glaubwürdiger sein.“35


  1. Annotation, siehe eingangs 

  2. BIEHL, M.: Zum Umgang mit dem ökumenischen Dokument. In: EMW / missio (Hg.): Mission Respekt. Studienausgabe zum ökumenischen Dokument „Christliches Zeugnis in deiner multireligiösen Welt. Hermannsburg 2014. 24-33. Hier: 27. Abrufbar unter: http://www.missionrespekt.de/fix/files/Christliches%20Zeugnis-studienausgabe.pdf 

  3. Aufgenommen von ebd. 

  4. BIEHL, M.: Zum Umgang mit dem ökumenischen Dokument. 26 

  5. COLLET, G.: Mission – ein anstößiges und zugleich inflationäres Wort. In: Euangel 1/2010. 20-25. Hier: 20f. 

  6. WANKE, J.: „Bitte keine Werbung einwerfen!“. Dürfen Christen heute missionieren? In: GuL 77 (2004) 321-332. Hier: 321. 

  7. MÄRZ, C.-P.: Neutestamentliche Orientierungen zur Frage von Neuevangelisierung und Mission. In: KRANEMANN, B. / PILVOUSEK, J. / WIJLENS, M. (Hg.): Mission – Konzepte und Praxis der katholischen Kirche in Geschichte und Gegenwart (EThSchr 38). Würzburg 2009. 95–106. Hier: 100. 

  8. AaO. 

  9. Ebd. 101. 

  10. Ebd. 105. 

  11. WANKE, J.: „Bitte keine Werbung einwerfen!“. 322. 

  12. AaO. 

  13. BENEDIKT XVI.: Ansprache vor der Synode der afrikanischen Bischöfe. Quelle: http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches/2009/october/documents/hf_ben-xvi_spe_20091005_sinodo_ge.html (aufgerufen am 8.2.2012). 

  14. KASPER, W.: Neue Evangelisierung – eine pastorale, theologische und geistliche Herausforderung. In: AUGUSTIN, G. / KRÄMER, K. (Hg.): Mission als Herausforderung. Impulse zur Neuevangelisierung. Freiburg i.Br. 2011. 23-39. Hier: 32. 

  15. Ebd. 33. 

  16. Ebd. 34. 

  17. Ebd. 35. 

  18. WANKE, J.: Beten mit der Heiligen Schrift. Hirtenbrief des Erfurter Bischofs Joachim Wanke zur österlichen Bußzeit 2012. Abrufbar unter: http://www.bistum-erfurt.de/front_content.php?idart=19046 

  19. WANKE, J.: „Bitte keine Werbung einwerfen!“. 325. 

  20. AaO. 

  21. WANKE, J.: Beten mit der Heiligen Schrift. 

  22. KOCH, KURT: Mission oder De-Mission der Kirche?. In: AUGUSTIN, G. / KRÄMER, K. (Hg.): Mission als Herausforderung. Impulse zur Neuevangelisierung. Freiburg i.Br. 2011. 41-79. Hier: 48. 

  23. KASPER, W.: Neue Evangelisierung. 36. 

  24. WANKE, J.: „Bitte keine Werbung einwerfen!“. 323. 

  25. WANKE, J.: „Brief eines Bischofs aus den neuen Bundesländern über den Missionsauftrag der Kirche für Deutschland“. In: Die deutschen Bischöfe: „Zeit zur Aussaat“ – Missionarisch Kirche sein (Die deutschen Bischöfe 68). hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn 2000. 35-42. Hier: 37. 

  26. KASPER, W.: Neue Evangelisierung. 38. 

  27. „Den Glauben vorschlagen in der heutigen Gesellschaft“ („Proposer la foi dans la société actuelle“) ist der Titel des Gespräches, das die französischen Bischöfe 1994 mit einem „Brief an die Katholiken in Frankreich“ in ihrem Land begonnen haben. 

  28. TIEFENSEE, E.: “Religiös unmusikalisch”? - Ostdeutsche Mentalität zwischen Agnostizismus und flottierender Religiosität von (Vortrag auf dem Kolloquium der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz über “Deutsche Einheit und Katholische Kirche. Die Situation in den neuen Ländern als pastorale Herausforderung” vom 25.-26. November 1999 in Schmochtitz). 1-13. Hier: 11. Abrufbar unter: http://www2.uni-erfurt.de/tiefensee/Religi%F6s_unmusikalisch.pdf. Der Text findet sich vollständig in einem Sammelband über das Schmochtitzer Kolloquium: WANKE, J.: (Hg.), Wiedervereinigte Seelsorge –Die Herausforderung der katholischen Kirche in Deutschland. Leipzig 2000. 24-53. 

  29. WANKE, J.: Haben Katholiken am Reformationsjubiläum 2017 etwas zu feiern? Quelle: http://www.bistumerfurt.de/front_content.php?client=2&lang=3&idcat=3004&idart=16901 (aufgerufen am 8.2.2012). 

  30. WANKE, J.: „Bitte keine Werbung einwerfen!“. 326. 

  31. NEUMANN, B.: „Sie sollen eins sein, damit die Welt glaubt!“. Ökumenische Überlegungen im Blick auf eine missionarische Pastoral. In: ThG 1/2011. 14-26. Hier: 17. 

  32. KLAIBER, W., Mission. Die bleibende ökumenische Herausforderung. In: Cath(M) 64 (2010).110-122. Hier: 117. 

  33. RAT DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND/KIRCHENAMT DER EKD (Hg.): Rechtfertigung und Freiheit. 500 Jahre Reformation 2017. Ein Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Gütersloh 2014. 47. 

  34. THÖNISSEN, W: „Antikatholische Grundsätze“ (Quelle: katholisch.de vom 9.7.2014. abrufbar unter: http://www.katholisch.de/de/katholisch/themen/kirche_2/140710_thoenissen_ekd.php. 

  35. KOCH, K.: Mission oder De-Mission der Kirche?. 76. 

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Dr. Markus-Liborius Hermann

Markus-Liborius Hermann, geboren 1980 in Mühlhausen, Thüringen, hat während seines Theologiestudiums in Erfurt, Salamanca und Jerusalem besonders die Tiefe des Neuen Testaments schätzen gelernt und dies durch eine Dissertation zum Hebräerbrief (2011) ausgebaut. Nach verschiedenen Praktika im kirchlichen und gesellschaftspolitischen Bereich in Europa und Lateinamerika arbeitet er seit 2010 als Referent für Evangelisierung und missionarische Pastoral in der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral und beschäftigt sich damit auch mit dem Phänomen, als Christ in der Minderheit zu sein. Dies fordert und fördert das eigene Profil sowie den Mut und die Gelassenheit für eine neue Evangelisierung unseres Landes, denn „es gibt nichts Schöneres, als von Christus gefunden zu werden“ (Benedikt XVI.).